Menelik: „ No problem“
Als mich im Januar Menelik vom Zege-Waldkaffee-Projekt per WhatsApp anrief und euphorisch berichtete, dass der Konflikt im Norden Äthiopiens vorbei sei, machte ich einen Freudensprung. Endlich Frieden. Die Strasse in Richtung Addis Abeba sei offen und die Kaffeebäume auf der Zege-Halbinsel voller roter Kaffeekirschen seien bereit zum Pflücken.
Sofort packte mich das Kaffeefieber und ich wollte schon den Flug buchen, da fragte ich noch etwas ungläubig nach, ob man denn wieder im Norden Reisen könne. „Yes, no problem“ hörte ich noch Menelik aus der wackligen WhatsApp-Leitung sagen und schon war ich auf dem Weg zum Flughafen Zürich.
Angekommen in Äthiopien stellte sich aber schnell heraus, dass die Lage im Norden längst nicht so stabil ist, wie mir Menelik berichtete. Stattdessen riet man mir ab, zum Tanasee in der Provinz Amhara zu reisen. Doch nach zwei Jahren Lieferunterbrechung vom hochgeschätzten Zege-Waldkaffee liess ich mich nicht mehr umstimmen. Erst als ich in der überfüllten Wartehalle für den Weiterflug rund um mich herum nur noch einen einzigen jungen weissen Hipster sah, wurde ich doch etwas nervös.
Zum Glück begleitete mich mein äthiopischer Kollege Aberra auf der Reise in den unberechenbaren Norden. Dank ihm war ich im Hotel am Lake Tana wenigstens nicht der einzige Gast, denn es stellte sich heraus, dass aufgrund des Konflikts kaum noch Touristen zu den wunderschönen Blaue-Nil-Wassserfällen kommen und deshalb die Hotels am Horizont leer und dunkel in der Abenddämmerung blieben.
Um etwas Normalität bemüht, bestellten wir auf der Terrasse am Lake Tana erst mal ein Bierchen. Doch mit der Ruhe war urplötzlich Schluss, als wir in der Ferne mehrere Schüsse hörten und uns unmissverständlich klar wird, wie fragil die Lage ist. Die folgende Nacht war lang – Das Gedankenkarussel drehte sich unaufhörlich um das Was, wenn … bis ich um drei Uhr dreissig morgens den Betruf von den Lautsprechern hörte und ich etwas ruhiger wurde. Meine Zuversicht wuchs und bei Tagesanbruch fuhren wir mit dem Boot auf dem Lake Tana schnellstmöglich zu Menelik zur Zege Halbinsel.
Auf dem Steg am Ufer sah ich schon von weitem Menelik. Ich war froh ihn nach zwei Jahren wieder gesund und glücklich zu sehen. Bei einer traditionellen Kaffeezeremonie tauschten wir allerlei Neuigkeiten aus bevor wir dann durch den Wald zu einer der schönen Klosteranlagen liefen.
Auf dem schmalen Pfad durch den Wald sahen wir überall hohe Kaffeesträucher voller reifer Kaffeekirschen. Stolz versicherte mir Menelik, dass dieses Jahr die Qualität und Quanität vielverprechend sei, denn die Niederschläge waren heuer ideal. Beim Pflücken konnte ich aber niemand entdecken, denn heute war der monatliche heilige Tag der Maria, welcher als Feiertag gilt. Umso emsiger war das Treiben innerhalb der Klostermauern, wo sich das halbe Dorf zur Messe versammelte. Zu meinem Glück öffnete mir und Menelik etwas später ein Prister die mehrere Meter hohe Holztüre und wir durften den inneren öffentlich zugänglichen Rundhof begehen, wo man mir die vielen Wandbilder mit bekannten Szenen aus der Bibel erklärte.
Überwältigt von der Bild- und Farbpracht durchschritt ich wieder das übermenschlich über vier Meter hohe Holztor hinaus in’s Freie. Geblendet vom grellen Sonnenlicht erkannte ich erst auf den zweiten Blick, dass da draussen in der Klosteranlage am Boden überall Kaffeekirschen getrocknet werden.
Dieser faszinierende Anblick ist wie ein Zeugnis aus der Vergangenheit, welches im Kern exakt die Legende bestärkt, wonach der Ursprung und die Entdeckung des Kaffees in Äthiopien liegt. Danach sollen Mönche schon vor Jahrhunderten die ersten Kaffeekirschen über dem Feuer geröstet haben.
Noch lebendiger wurde plötzlich eine weitere Legende, wonach der Mönch Betre Maryam einst von Gott aufgetragen wurde in Zege Limonen, Kaffee und Hopfen anzubauen. Ich hatte nämlich am Morgen als wir auf der Halbinsel durch den Wald liefen nicht nur all die Kaffeebäume gesehen sondern auch Hopfenplanzen.
Gestärkt von Speis und Trank machten Aberra und ich uns auf den Rückweg. Wir wollten mit dem Boot noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück in Bahir Dar sein. Beim monotonen Bootsmotorengestotter schweifte mein Blick über den Tanasee zum Horizont.
Gerne hätte ich wieder die Nilpferde und Pelikane im Wasser gesehen wie damals vor zwei Jahren als ich mit dem Fotograf Christian Hildebrand auch noch eine einzelne Insel mit weiteren Klöstern ansteuerte.
Dies ist nun aufgrund der fragilen Lage leider nicht möglich und vielleicht auch nicht nötig. Denn Menelik versprach mir, dass ich von jener Insel diesen Herbst 20 Säcke sonnengetrockneten Kaffee bekomme. Ich fragte ihn zwar noch wie er das unter den aktuellem Umständen schaffen werde. Er sagte nur: „No problem“.
Wie dieser Hopfen zur lebendigen Lokalkultur wurde, erlebte ich etwas später als Menelik mich unverhofft einem Priester vorstellte. Mit ernster Miene fragte dieser als erstes, welcher Religion ich angehöre. Etwas verdaddert antwortete ich ihm „Römisch-Katholisch“.
Unvermittelt wurde ich eingeladen in eine der Klosternebenräume zu folgen, wo sich bereits einige Messegänger versammelt hatten. Noch bevor ich das Geschehen einordnen konnte, sass ich mitten unter all den Gläubigen neben dem Priester am Boden. Es wurde Injera, das äthiopische, leicht säuerliche Fladenbrot verteilt. Und aus Plastikeimer floss reichlich selbstgebrautes Bier aus Hopfen der Zege Halbinsel.